Rezension "Der Vorleser" von Bernhard Schlink




Infos zum Buch:

Titel: Der Vorleser
Autor: Bernhard Schlink
Verlag: Diogenes
Erscheinungstermin: Neuauflage am 20.05.2019
ISBN: 978-3-257-07066-8
Seitenzahl: 224
Preis: EUR 24,00











Sie ist reizbar, rätselhaft und viel älter als er … und sie wird seine erste Leidenschaft. Sie hütet verzweifelt ein Geheimnis. Eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Erst Jahre später sieht er sie wieder. Die fast kriminalistische Erforschung einer sonderbaren Liebe und bedrängenden Vergangenheit.

Mit einem Nachwort von Jürgen Kaube

Dieses Buch, das 1995 erstmals in Deutschland erschienen ist, ist bereits bei vielen bekannt und beliebt. Durch den gleichnamigen Film erhielt das Buch 2009 noch mehr Aufsehen. Ich entschied mich aber dafür, das Buch erst 25 Jahre später in die Hand zu nehmen und zu lesen. Ich frage mich aber die ganz Zeit, wieso ich es nicht schon früher gelesen habe. Es hat mich beeindruckt, fasziniert, mitgerissen, geblendet - Ich war einfach Hin und Weg.
Bernhard Schlink schreibt einfach und präzise, aber mit einer solchen Wortgewalt, dass es mitten in mein Herz ging. Hattet ihr schon einmal Gänsehaut beim Lesen? Ich jetzt schon! Aber nicht unbedingt, weil mich die Liebesgeschichte von Hannah und Michael so beeindruckt hat, dies zwar auch, aber insbesondere wegen der herausragenden Sprache, Wortwahl und Wortspiele. Ich liebe dieses Buch alleine schon deswegen. 
Vom Inhalt möchte ich nicht zu viel verraten, denn der Klappentext verrät meiner Meinung nach schon mehr als genug. Beim Lesen merkt man aber recht schnell, dass sich das Buch in drei inhaltliche Teile trennen lässt. 
Im ersten Teil wird die Liebesgeschichte von Hanna und Michael vertieft und erläutert. Man bekommt tiefe Einblicke, besonders in die Gedanken und Gefühle vom Hauptprotagonisten und Erzähler Michael Berg. Für mich wirkte die Beziehung unmoralisch und vor allem toxisch. Nichtsdestotrotz konnte man die Gefühle nicht besser rüber bringen, als es Schlink getan hat. Ich habe jedes einzelne Wort fühlen und miterleben können. Man verabscheut die weibliche Protagonistin, versteht aber trotzdem wieso Michael sie liebt. Besonders gut gefallen hat mir die Entwicklung von Michael. Er ist von einem 15 Jährigen "Jungchen" in nur wenigen Jahren zu einem sehr selbstsicheren, zwar auch kalten, aber dennoch starken Jungen herangewachsen. Ich bewunderte ihn sehr. Nach all den Jahren hing seine Liebe und seine Gedanken trotzdem noch bei Hanna.
Der zweite Teil beschreibt den Prozess Hannas vor Gericht und spielte fast ausschließlich im Gerichtsgebäude. Man bemerkt hier ganz deutlich Bernhard Schlinks Begeisterung und Fähigkeit zur Rechtswissenschaft. Er selbst war Jurist.  Immer wieder warf er die Frage rein, was denn Recht überhaupt sei.

Was ist Recht? Was im Buch steht oder was in der Gesellschaft tatsächlich durchgesetzt und befolgt wird? Oder ist Recht, was, ob es im Buch steht oder nicht, durchgesetzt und befolgt werden müsste, wenn alles mit rechten Dingen zuginge? (S.86)

Es gab einige Rückblende in die NS-Zeit und schnell wurde mir dabei deutlich, dass das Buch eine unglaublich hohe Wichtigkeit hat. Es ging immer wieder um die Frage nach der Moral und des Rechts, um Hanna und um Michael, der sich nie genau sicher war, was er glaubte. Die Spannungskurve ging nach diesem Teil signifikant nach oben und fand meiner Meinung nach ihren Höhepunkt als Hannas Geheimnis offenbart wurde. Die Ambivalenz des Begriffs "Vorleser" wurde mir dadurch umso deutlicher.
Der dritte Teil handelte von Michael nach dem Urteilsspruch für Hanna. Es wird in einer Rückschau erzähl, was nach all den Jahren mit Hanna und Michael passiert ist. Ich war geschockt, überrascht und irgendwie auch total in einem historischen Bann. 
Dieses Werk ist für mich ein Meisterwerk! Es behandelt wichtige und besorgniserregende Themen, es ist unglaublich deutlich und verständlich geschrieben, es geht um Schuld, Moral und Recht, um die Zeit vor und nach dem Nationalsozialismus aus der Sicht eines einfachen jungen Mannes. Dieses Buch sollte gelesen werden, es sollte im Unterricht analysiert werden, es sollte verbreitet werden. Für mich momentan mein liebster Klassiker!


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